Die Strafe der Kreuzigung galt in der Antike aufgrund der Länge des qualvollen Todeskampfs als eine der grausamsten Todesstrafen. Sie wurde daher in der Regel nicht an römischen Bürger:innen angewandt, sondern an Sklav:innen, Freigelassenen, Räubern und Piraten. Sie diente in den Provinzen als stand- und kriegsrechtliches Instrument, um antirömische Erhebungen oder mögliche Aufstände im Keim zu ersticken. In Judäa und Galiläa waren römische Statthalter besonders scharf und ließen nicht nur die Anführer kreuzigen. (AS 168)
Wahrscheinlich wurde Jesus von Nazaret des Aufruhrs und Hochverrats – perduellio – angeklagt und entsprechend verurteilt. Hingerichtet wurde er als Königsprätendent, der die römische Herrschaft in Judäa bedrohte und zusammen mit seinen Anhänger:innen auf deren Ende hin arbeitete. Pilatus ließ am Kreuz eine Tafel mit der Aufschrift „Der König der Juden“ (Mk 15,26 par) anbringen. (AS 168)
Es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten. Und eine Aufschrift gab seine Schuld an: Der König der Juden.
Nach den Zeugnissen aller Evangelien ging der Kreuzigung ein zumindest rudimentärer Strafprozess voraus: Es gab eine Anklageerhebung sowie eine richterliche Sachverhaltsprüfung durch den römischen Präfekten Pontius Pilatus durch ein Verhör. Dieser Prozesstyp wurde als cognitio extra ordinem bezeichnet und diente in erster Linie als Sachverhaltsprüfung durch den Richter. Die Anklage wurde von dritter – gleich privater – Seite formuliert und der Richter entschied, ob sie zugelassen wurde. Wenn das der Fall war, konnte der Angeklagte zu den Vorwürfen Stellung beziehen. Das Ergebnis war immer ein Urteil des Richters, bedeutete aber nicht immer einen formellen Urteilsspruch des Richters. Ein Geständnis des Angeklagten konnte auch reichen oder der Befehl zur Freilassung oder Bestrafung.
Der Prozess Jesus entspricht vom Ablauf her exakt diesem Prozesstyp: Die Anklage wurde von der jüdischen Obrigkeit formuliert, der Angeklagte konnte sich verteidigen und am Schluss gab es das Urteil in Form der Herausführung zur Kreuzigung. Damit lässt sich auch das Fehlen eines ausdrücklichen Urteilsspruches erklären. (AS 179f)
De facto war Pontius Pilatus wohl nicht der schwache Richter, der nach den Evangelien letztlich von der Unschuld Jesu überzeugt und faktisch ein Spielball in der Hand der Hohenpriester war. Die historischen Quellen sprechen eine andere Sprache. Sie zeichnen einen Mann, der einerseits rücksichtslos und brutal war und andererseits in seiner relativ langen Amtszeit durchaus erfolgreich agierte und mit dem Hohenpriester Kajaphas gut zusammengearbeitet haben muss. Daher ist nur schwerlich anzunehmen, dass Pilatus ein zaudernder Richter oder gar eine Marionette in der Hand der jüdischen Autoritäten war. Er musste ohnehin vor dem anstehenden Passafest mit Unruhen und möglichen Aufständen rechnen. (AS 170f) Aus diesem Grund waren zum Passafest besonders viele römische Soldaten auf der Burg Antonia gegenüber dem Tempel zusammengezogen worden, um mit Argusaugen das Geschehen um den Jerusalemer Tempel zu beobachten und gegebenenfalls eingreifen zu können.
[Literatur u.a.: Angelika Strotmann, Der historische Jesus S.168ff.]