Frage 23:

Warum war Jesus die Gemeinschaft so wichtig?

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Neben seinen Heilungen gab es ein weiteres starkes Kennzeichen im Verhalten Jesu von Nazaret:

Er praktizierte eine sehr offene Tischgemeinschaft mit den unterschiedlichsten Personen und Gruppen seiner Umgebung. Entsprechend gibt es viele Texte, die von diesen Mählern berichten: zum Beispiel von einem Essen unter anderem mit Pharisäern (z.B. Lk 7,36-50), das letzte Mahl mit seinen Anhänger:innen (Mk 14,17-26 par) oder das so genannte Zöllnermahl bei einem Zöllner namens Levi (Mk 2,15-17 par):

Und als Jesus in dessen Haus zu Tisch war, da waren viele Zöllner und Sünder zusammen mit ihm und seinen Jüngern zu Tisch; es waren nämlich viele, die ihm nachfolgten. Als die Schriftgelehrten der Pharisäer sahen, dass er mit Zöllnern und Sündern aß, sagten sie zu seinen Jüngern: Wie kann er zusammen mit Zöllnern und Sündern essen? Jesus hörte es und sagte zu ihnen: Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder.

Das gemeinsame Essen war in der Antike von viel grundlegender Bedeutung als für uns Heutige. In jener Zeit war das Mahl nicht einfach nur ein Teil des Lebens, es war das Gemeinschaftsleben schlechthin!

Im Blick auf die die Mahlpraxis Jesu gab es allerdings deutliche Unterschiede zu den herkömmlichen Gastmählern: Seine Mähler waren von einer hohen Offenheit gegenüber Menschen geprägt, die nicht zur eigenen Gruppe gehörten. Er sieht sie im Zusammenhang mit seiner Botschaft vom anbrechenden Gottesreich: Für ihn ist in diesen Zusammenkünften ist die Nähe Gottes zu den allen Menschen schon erfahrbar, eine Nähe, die Heil und Gemeinschaft schafft. Das gilt auch und gerade für die, die nach Ansicht der religiösen und politischen Autoritäten seines Volkes nicht oder nur am Rande dazu gehören. (AS 134)

Und gleichzeitig sind seine Mahlgemeinschaften in einer von Armut und Hunger geprägten Gesellschaft ein erfahrbares Zeichen für das rauschende Fest des sich nun anfanghaft ereignenden Gottesreichs, das wie eine Art Schlaraffenland erscheint, in dem alle für immer satt werden.

Diese Botschaft wird auch in den sogenannten Speisungswundern erkennbar, deren historische Bedeutung allerdings umstritten ist. So berichtet das Markusevangelium über ein Ereignis in einer „einsamen Gegend“, in die viele Menschen ihm und seinen Jünger:innen gefolgt sind und für die er Mitleid empfindet. Die Jünger weisen ihn auf die geringe Zahl an vorhandenen Nahrungsmitteln hin – fünf Brote und zwei Fische – und Jesus erwidert ihnen: Gebt ihr ihnen zu essen! Sie sagten zu ihm: Sollen wir weggehen, für zweihundert Denare Brot kaufen und es ihnen zu essen geben? Er sagte zu ihnen: Wie viele Brote habt ihr? Geht und seht nach! Sie sahen nach und berichteten: Fünf Brote und außerdem zwei Fische. Dann befahl er ihnen, sie sollten sich in Mahlgemeinschaften im grünen Gras lagern. Und sie ließen sich in Gruppen zu hundert und zu fünfzig nieder. Darauf nahm er die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf, sprach den Lobpreis, brach die Brote und gab sie den Jüngern, damit sie diese an die Leute austeilten. Auch die zwei Fische ließ er unter allen verteilen. Und alle aßen und wurden satt. Und sie hoben Brocken auf, zwölf Körbe voll, und Reste von den Fischen. Es waren fünftausend Männer, die von den Broten gegessen hatten. (Mk 6,37-44 und 8,1-10 par)

Vor allem seine Mähler mit Zöllnern und SünderInnen haben ihm massive Kritik eingebracht. Siehe, [dieser] Mensch ist ein Fresser und Weintrinker, ein Freund von Abgabenpächtern und Sündern. (Lk 7,34) Die Zöllner oder Abgabenpächter waren eine genau abgrenzbare Berufsgruppe, die im gesamten Mittelmeerbereich unbeliebt und verachtet war. Man warf ihnen permanentes moralisches Fehlverhalten vor: Betrug, Wucher, Kollaboration mit der römischen Besatzungsmacht.

Warum hat sich Jesus so stark dieser den Abgabenpächtern zugewandt? Folgende Erklärungen könnte es dafür geben:

Zum einen: Es könnte Zöllner gegeben haben, die weder betrogen noch andere ausbeuteten oder kollaborierten. Dennoch wurden sie ausgegrenzt und litten darunter.

Zum zweiten: Die Menschen dieser Gruppe waren am offensichtlichsten ausgegrenzt und mussten unter sich bleiben. Jesus wollte sie als „Verlorene“ in die jüdische Gemeinschaft zurückholen, ähnlich wie im Gleichnis vom Verlorenen Schaf: Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Wüste zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es voll Freude auf die Schultern, und wenn er nach Hause kommt, ruft er die Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf wiedergefunden, das verloren war! Ich sage euch: Ebenso wird im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die keine Umkehr nötig haben. (Lk 15,4-7).

Und schließlich war für ihn möglicherweise auch klar, dass die Verlorenen selbst im Fall ihrer Umkehr nicht davon ausgehen konnten, wieder in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden, wie die Reaktion des älteren Bruders im Gleichnis vom verlorenen Sohn zeigt. Der Vater empfängt den jüngeren Sohn nach dessen Rückkehr mit großer Freude und einem rauschenden Fest. Der ältere kommt von der Feldarbeit zurück und erfährt von einem Knecht des Vaters: Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn gesund wiederbekommen hat. Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und redete ihm gut zu. Doch er erwiderte seinem Vater: Siehe, so viele Jahre schon diene ich dir und nie habe ich dein Gebot übertreten; mir aber hast du nie einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte. Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet. Der Vater antwortete ihm: Mein Kind, du bist immer bei mir und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber man muss doch ein Fest feiern und sich freuen; denn dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.(Lk 15,27-32).

Jesus verstand seine Mahlpraxis aber immer auch als etwas, was darauf hinweist, was sein wird, wenn das Gottesreich sich „in Vollendung“ – also ganz und gar – durchsetzt. Er kann in einem Gleichnis deshalb auch von einem „himmlischen Gastmahl“ sprechen, das es dann geben wird. (Lk 14,1-24)

Nach seinem Tod und den Osterereignissen führen seine Jünger:innen die Mahlgemeinschaft fort, die sie mit Jesus zu seinen irdischen Lebzeiten gepflegt hatten. Im Brechen des Brotes ist Jesus als Auferstandener unsichtbar unter ihnen zugegen du damit weiter gegenwärtig. (Vgl. die Ostererzählungen in Lk 24 und Joh 21)

[Literatur u.a. Angelika Strotmannn, Der historische Jesus S.133ff.]