Frage 39:

Wie hat man sich eine Kreuzigung überhaupt vorzustellen?

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Die Kreuzigung Jesu von Nazaret lief nicht anders ab als andere Kreuzigungen vor oder nach ihm. Jesus wird dabei entgegen manchen christlichen Tendenzen nicht stärker gelitten haben als andere Gekreuzigte. (AS 180ff)

Zum Ablauf der Kreuzigung:

Der Kreuzigung ging im Fall Jesu eine Geißelung voraus. Diese wurde mit einem Riemenbündel durchgeführt, das mit Knochenstücken oder Bleikugeln bestückt war. Dabei kam es zu schweren Haut- und Fleischverletzungen und einem hohen Blutverlust. Den Querbalken – das patibulum – musste Jesus selbst zur Hinrichtungsstätte durch den Jerusalemer Stadtbereich zum Hügel Golgota tragen. Er war aber offensichtlich durch die Geißelung bereits so geschwächt, dass ein zufällig vom Feld kommender Mann namens Simon von Cyrene zwangsrekrutiert wurde, um den Querbalken für Jesus zu tragen. An der Richtstätte wurde Jesus nackt ausgezogen und dann an den Querbalken gebunden oder genagelt. Dann wurde er am stipes – dem wohl fest installierten Längsbalken – hochgezogen. Es gab zwei Kreuzformen, das T-Kreuz – crux commissa – oder die allgemein bekannte Kreuzform crux immissa. Über seinem Kopf wurde eine Tafel, ein titulus, angebracht, was für die crux immissa spricht. Möglicherweise wurde am Längsbalken noch ein sedile, „Sitzbänkchen“, angebracht. Es diente aber weniger der Entlastung des Gekreuzigten als der Verlängerung seines Leidens.

1968/69 wurde in einem Stadtteil von Jerusalem (Giv´at Hamitvar) eine steinerne Knochenkiste, ein Ossuar, aus dem ersten Jahrhundert gefunden. Darin befand sich unter anderem der Fersenknochen eines ca. 24- bis 27jährigen Mannes, der von einem 17 cm langen Nagel durchbohrt war. Er war offensichtlich wie Jesus gekreuzigt worden. Möglicherweise waren auch die beiden Arme des Mannes mit Nägeln zwischen Elle und Speiche an das Kreuz geschlagen worden. Darauf deuten Verletzungsspuren an beiden Armen zwischen Elle und Speiche hin.

Zum Eintreten des Todes trugen mehrere Komponenten ein: Die Schwächung durch die vorherigen Misshandlungen, die Beeinträchtigung des Kreislaufs und der Atmung durch das lange Hängen und die damit verbundene Zuglast, am Ende dann ein Kreislaufkollaps. Wenn der Tod beschleunigt werden sollte, wurden den Delinquenten die Schienbeine gebrochen (curifragium). Das war aufgrund der Schwere seiner Verletzungen bei Jesus wohl nicht der Fall. Insofern sind die Angaben der Evangelien glaubwürdig, die von einem relativ kurzen Sterbeprozess von drei Stunden ausgehen und dem Todeszeitpunkt gegen 15 Uhr.

Die Anhänger:innen Jesu stehen mit einem gewissen Sicherheitsabstand von der Kreuzigungsstelle (Mk 15,40). Sie mussten damit rechnen, selbst ergriffen und misshandelt, ja getötet zu werden, wenn sie sich durch Trauer oder Verzweiflungsausbrüche als Anhänger:innen des Gekreuzigten zu erkennen gegeben hätten. Dies wurde nach historischen Berichten nicht selten als Unterstützung des Verurteilten und seines Verbrechens gedeutet.

Die Verweigerung des Begräbnisses gehörte zur Entehrung des Verurteilten. Die Gekreuzigten blieben nach ihrem Tod in der Regel so lang am Kreuz hängen, bis sie verwest oder von wilden Tieren gefressen worden waren. Es gab aber Ausnahmen, wie das genannte Ossuar beweist. Zudem war es üblich und im Judentum sogar vorgeschrieben, dass der Leichnam eines Gekreuzigten an Feiertagen abzunehmen sei. Dies war auch beim Leichnam Jesu der Fall. Dieser wurde in einem Grab des Jerusalemer Ratsherren Josef von Arimathäa beigesetzt.

[Literatur u.a.: Angelika Strotmann, Der historische Jesus S.168ff.]