Frage 36:

Warum wurde Jesus zum Tode verurteilt?

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Die Frage nach den Gründen des Todes Jesu ist eine extrem heikle Frage. Denn sie wurde im Laufe der Geschichte von Beginn an auf die Schuldfrage enggeführt: Wer war schuld am Tod Jesu? Aus christlicher Sicht waren es dann nicht selten „die Juden“, die hier als Sündenböcke herhalten mussten.

Für die Bibelwissenschaftler Annette Merz und Gerd Theißen (409) ist die Frage nach der Schuld nicht sachgemäß, da sich nur die Frage nach der Verantwortung für die Hinrichtung beantworten ließe. Diese Verantwortung liegt für sie eindeutig bei den Römern, insbesondere bei Pontius Pilatus, die wiederum auf Initiative der jüdischen Aristokratie handelten. Darüber hinaus gibt es mehrere weitere Faktoren und Ursachen: Jesus selbst hat sein Ende riskiert, als er nach Jerusalem zog. In seinem Verhalten unter anderem bei der Tempelaktion und in seinen Worten hat er in äußerstem Maße provoziert und die Obrigkeit alarmiert.

Wichtig auch der Hinweis der Expertin Angelika Strotmann (174) im Blick auf die Festnahme und Verurteilung Jesu: Eine „strenge Unterscheidung zwischen einem politischen Anklagepunkt vor Pilatus und einem `eigentlich´ religiös-theologischen Anklagepunkt in den Augen der jüdischen Obrigkeit“ entspräche nicht den historischen Gegebenheiten, da in der Antike insgesamt Religion und Politik immer eng zusammengehören. Es gibt somit keine Seite, der man die Verantwortung oder gar die Schuld eindeutig zuweisen könnte!

In der Forschung werden vor allem drei Anklagepunkte gegenüber Jesus von Nazaret diskutiert:

Erstens die Anklage wegen Blasphemie, Gotteslästerung:

Aber: Blasphemie wurde im jüdischen Kontext nicht als todeswürdiges Verbrechen angesehen wie in Mk 14,64 von Seiten des Synhedriums behauptet. Ihr habt die Gotteslästerung gehört. Was ist eure Meinung? Und sie fällten einstimmig das Urteil: Er ist des Todes schuldig.Auch Jesu zustimmende Antwort auf die Frage des Hohenpriesters, ob er der „Gesalbte“ sei (Mk 14,61), kann nicht als Blasphemie ausgelegt werden. (AS 175) Jesus aber schwieg und gab keine Antwort. Da wandte sich der Hohepriester nochmals an ihn und fragte: Bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten? Jesus sagte: Ich bin es.

Zweitens die Anklage wegen seiner kritischen Einstellung zum Tempel, wie sie in der Tempelaktion und im Tempelwort zum Ausdruck kam:

Aber: Das Tempelwort (Mk 14,58) vom Niederreißen und Neuaufbau des Tempels ist als Grund für die Verhaftung Jesu nicht notwendig. Die prophetische Zeichenhandlung der Tempelaktion mit der erheblichen Störung des Tempelbetriebs kurz vor dem Befreiungsfest des Pessach, ist als Grund zusammen mit Jesu Verkündigung des unmittelbar sich durchsetzenden Gottesreichs völlig ausreichend, um das Eingreifen der jüdischen Autoritäten und des römischen Machthabers zu rechtfertigen. (AS 178)

Drittens die Anklage wegen Umsturzabsichten als Königs- und Messiasprätendent, also als Jemand, der sich zum Königs- oder Messiasanwärter macht.

Die jüdischen Autoritäten haben Jesus wohl nicht nur als Königsprätendenten angeklagt, sondern waren wohl selbst davon überzeugt, dass er eine Gefahr für das labile Gleichgewicht zwischen jüdischer und römischer Seite darstellte. Vermutlich hat Jesu Rede vom bereits einbrechenden Königreich Gottes den „Kurzschluss“ verursacht, dieses Königreich könne in kürzester Zeit alle bisherigen Reiche ablösen und damit auch das Ende des Römischen Reiches anstreben. Dies konnte dann als Aufruf zum Umsturz gelesen werden. Da Jesus sein eigenes Wirken aufs Engste mit dem Königreich Gottes verband, konnte das nach außen nur den Eindruck erwecken, dass er sich selbst als König dieses Reiches sähe. Da er darüber hinaus von mindestens einzelnen seiner Anhänger:innen als Messiasprätendent gesehen wurde, wie es in seinem Einzug nach Jerusalem erkennbar wurde, war er in der Sicht insbesondere der jüdischen Autoritäten als noch größere Gefahr anzusehen. (AS 179f)

Der direkte Anlass zum Handeln war dann wohl seine Tempelaktion, die in den Worten der Bibelwissenschaftlerin „in ihrer Aggressivität und im Zusammenhang mit seiner Reich-Gottes-Verkündigung Befürchtungen von einem unmittelbar bevorstehenden Aufstand weckte.“ (AS 180)

[Literatur u.a.: Angelika Strotmann, Der historische Jesus S.168ff., Gerd Theißen / Annette Merz, Der historische Jesus S.409]