Im Anschluss an sein Wirken in Galiläa zog Jesus von Nazaret mit seinen Anhänger:innen über Jericho zum Pessachfest in das Zentrum der jüdischen Religion nach Jerusalem hinauf. Sein Quartier bezog er etwas außerhalb im etwa 3 km entfernten Ort Betanien. Seine Absicht war sicher, in der Tempel-Metropole seine Botschaft vom anbrechenden Gottesreich zu verkünden. Jesus scheint in Jerusalem nicht sehr bekannt gewesen zu sein. Und er kommt als einer von geschätzt 125.000 Festpilgern in die um die 35 000 Einwohner zählende Stadt, ist somit mit seiner Anhängerschaft nur ein kleiner Teil einer großen Menschenmenge.
Sein Einzug in die Stadt stellt ein außergewöhnliches Ereignis dar. Mit ihm einziehende Festpilger umjubeln ihn und rufen ihm Lobesworte zu. Wahrscheinlich Wort wie: Hosanna! Gepriesen, der da kommt im Namen des Herrn. (Mk 11,9). Möglicherweise hatte seine Verkündigung des anbrechenden Königreich Gottes bei seinen Anhänger:innen und im Volk die Erwartung geweckt, er selbst sei der messianische König. Dafür könnten preisende Wort wie dieses sprechen: Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt. Hosanna in der Höhe! (Mk 11,10). Worte wie diese wurden ihm wohl am Ende zum Verhängnis, führten zum sogenannten „Königreich-König-Kurzschluß“ (C. Niemand). Die Bibelwissenschaftlerin Angelika Strotmann erklärt das so: „Allein die Ankündigung einer Königsherrschaft, und sei es die basileia Gottes, die binnen kurzem alle Reiche ablösen würde, konnte als Aufruf zum Umsturz verstanden werden.“ (AS 178f) Viele Menschen haben somit wohl gedacht, einer, der ein Königreich ankündigt, sei automatisch auch der König dieses Reiches.
Jesus kam mit seinen Anhänger:innen eine Woche vor Beginn des #Pessachfestes nach Jerusalem. Das war durchaus üblich, denn man brauchte diese Zeit zur Erfüllung der Reinigungsriten und der weiteren Festvorbereitungen. Obwohl aber relativ viele Überlieferungen aus der Pessachwoche vorliegen, ist von solchen Reinigungsriten nie die Rede. Jesus hat diese Riten möglicherweise nicht praktiziert, was seine Distanz zum Tempel zum Ausdruck bringen könnte. (Theißen/Merz 380f)
Eine gewisse Distanz zu bestimmten Praktiken im Tempelbereich kommen im Bericht von der sogenannten Tempelaktion zum Ausdruck: Jesus ging in den Tempel und begann, die Händler und Käufer aus dem Tempel hinauszutreiben; er stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um und ließ nicht zu, dass jemand irgendetwas durch den Tempelbezirk trug. Er belehrte sie und sagte: Heißt es nicht in der Schrift: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes für alle Völker genannt werden? Ihr aber habt daraus eine Räuberhöhle gemacht. (Mk 11,15-17) Nach der Einschätzung von Angelika Strotmann wollte Jesus mit dieser prophetisch-kritischen Symbolhandlung den Kauf von Opfertieren und das dazu erforderlich Wechseln von Geld kurzzeitig behindern. Dabei handelte er nicht gegen den Tempelkult an sich, sondern gegen eine Praxis, die wie beim Jeremia-Wort den Tempel als Rückzugsort zwischen den „Raubzügen“ jüdischer Kultausübender missbraucht: … und ihr kommt und tretet vor mein Angesicht in diesem Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, und sagt: Wir sind geborgen!, um dann weiter alle jene Gräuel zu treiben. Ist denn dieses Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, in euren Augen eine Räuberhöhle geworden? (Jer 7,10f) Genau dieses Verhalten macht sie in der Sichtweise Jesu nicht bereit, das schon erfahrbare und unmittelbar bevorstehende Königreich Gottes anzunehmen. Hier geht es letztlich um ein heftiges Ringen Jesu um Annahme und Zustimmung zu seiner Botschaft im zentralen Heiligtum des Judentums. (AS 177)
Folgende Worte über den Tempel – in Fachkreisen „Tempelwort“ werden von den meisten Bibelwissenschaftlern als authentisch angesehen: Wir haben ihn sagen hören: Ich werde diesen von Menschenhand gemachten Tempel niederreißen und in drei Tagen einen anderen aufbauen, der nicht von Menschenhand gemacht ist. (Mk 14,58) Der Satz findet sich im Markusevangelium im Zusammenhang mit seinem Prozess vor dem Synhedrium, dem höchsten politischen Gremium der Juden in Jerusalem. Angebliche Falschzeugen wollen sie aus dem Mund Jesu gehört haben – was wohl tatsächlich der Fall war. Angelika Strotmann (178) sieht es so: Als Grund für die Verhaftung Jesu und für seine Hinrichtung ist das Tempelwort nicht entscheidend. Ein wichtigerer Grund dafür war sicher die Tempelaktion. Diese konnte als prophetische Zeichenhandlung zusammen mit der Verkündigung Jesu vom sich durchsetzenden Basileia-Gottesreich, kurz vor dem Fest der Befreiung aus der Unterdrückung in Ägypten, dem Pessachfest, als möglicher umstürzlerischer Akt gesehen werden.
In seiner Woche der Entscheidung war Jesus in jedem Fall immer wieder im Tempel zu finden. Neben den bereits beschriebenen Aktivitäten werden in den Evangelien noch Streitgespräche mit Hohenpriestern und Ältesten, Sadduzäern, Pharisäern und vor allem Schriftgelehrten überliefert. Dabei geht es um Fragen nach der Vollmacht Jesu (Mk 11,27-33 par) und nach seiner Messianität (Mk 12,35-37a par). Jesus lehrte offensichtlich auch im Tempel (z.B. Mk 12,35; 37b & 38).
[Literatur u.a.: Angelika Strotmann, Der historische Jesus S.168ff.; Gerd Theißen / Annette Merz, Der historische Jesus 380f.]