Frage 24:

Wie hat sich der Anhänger:innenkreis gebildet?

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Jesus aus Nazaret muss schon relativ früh klar geworden sein, dass er in der von ihm angenommen Kürze der Zeit – er ging davon aus, dass das schon anbrechende Gottesreich sich schon bald komplett durchsetzen würde! – Hilfe und Unterstützung durch andere Menschen brauchte. Das mussten Menschen sein, die bereit waren, von ihm zu lernen und somit in ein Lehrer-Schüler-Verhältnis zu treten. Solche Konstellationen gab es abgesehen von den Täuferschülern im jüdischen Kontext seiner Zeit auch bei den Pharisäern (Mk 2,18) und den Schriftgelehrten.

Jesus hat einen Teil dieser Menschen persönlich angesprochen und berufen, ihm auf seinem Weg zu folgen. Vermutlich sind diese aber nicht auf einen kurzen Zuruf mit ihm mitgekommen, wie es die erste Berufungsgeschichte bei Markus (+ parr) nahelegt:

Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder des Simon, die auf dem See ihre Netze auswarfen; sie waren nämlich Fischer. Da sagte er zu ihnen: Kommt her, mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen. Und sogleich ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm nach. (Mk 1,16-18)

Es gibt ebenfalls Menschen, die sich aus eigenem Entschluss Jesus anschließen wollten. In deutlichen Worten führt Jesus ihnen vor Augen, wie radikal sein Weg ist: Er führt in die Heimatlosigkeit, möglicherweise sogar in die Obdachlosigkeit, bedeutet die Aufgabe der bisherigen Tätigkeit und das mögliche Zurücklassen der eigenen Herkunftsfamilie! (z.B. Lk 9,57-60) Hier wird deutlich, dass es einer gründlichen Prüfung bedarf, um in die Nachfolge Jesu „auszusteigen“.

Man kann die Lebensweise der Nachfolgeschaft Jesus wohl als „Gemeinschaft in Wanderexistenz“ bezeichnen. Nicht nur deren offensichtliche Radikalität muss für Aufsehen gesorgt haben, sondern auch die Tatsache, dass Frauen in dieser Gemeinschaft mit unterwegs waren.

Innerhalb dieser Gemeinschaft lebte man als Gottesfamilie – als familia Dei. Diese Gemeinschaftsform ersetzt die Herkunftsfamilie hundertfach: Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen. Jetzt in dieser Zeit wird er Häuser und Brüder, Schwestern und Mütter, Kinder und Äcker erhalten, wenn auch unter Verfolgungen, und in der kommenden Welt das ewige Leben. (Mk 10,29-30) Die Vorzeichen dieser Gemeinschaft stehen somit positiv unter Verheißungsgedanken und nicht negativ unter Verzichtsgedanken! In dieser Gemeinschaft wird es keine irdischen Hierarchien mehr geben: Der irdische Vater ist gar nicht genannt und die Mutter an die letzte Stelle gesetzt! Die Geschwisterlichkeit steht an erster Stelle.

Diese Schüler:innen werden von Jesus wohl in einer lebendigen und prozesshaften Verbindung von Lehre und Praxis „ausgebildet“. Sie sollen wie Jesus das angebrochene Königreich Gottes verkünden und die heilende und rettende Macht Gottes in Krankenheilungen und Dämonenaustreibungen erfahrbar machen. Dazu gibt er ihnen „Vollmacht“ (exousia): Er gab ihnen Vollmacht über die unreinen Geister und er gebot ihnen, außer einem Wanderstab nichts auf den Weg mitzunehmen, kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen. Und er sagte zu ihnen: Bleibt in dem Haus, in dem ihr einkehrt, bis ihr den Ort wieder verlasst! Wenn man euch aber in einem Ort nicht aufnimmt und euch nicht hören will, dann geht weiter und schüttelt den Staub von euren Füßen, ihnen zum Zeugnis. Und sie zogen aus und verkündeten die Umkehr. Sie trieben viele Dämonen aus und salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie. (Mk 6,7b-13)

Es ist unzweifelhaft, dass auch Frauen diese Wanderexistenz Jesu teilten: Er wanderte von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und verkündete das Evangelium vom Reich Gottes. Die Zwölf begleiteten ihn und auch einige Frauen, die von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt worden waren: Maria, genannt Magdalena, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren, Johanna, die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes, Susanna und viele andere. Sie unterstützten Jesus und die Jünger mit ihrem Vermögen. (Lk 8,1-3)

Über den Begleitungshinweis in Lukas 8,2 hinaus sprechen unter anderem folgende Gründe für die Teilhabe von Frauen im Jünger:innen-Kreis: So kommen auffallend viele Frauen in den Erzählüberlieferungen der Evangelien vor. Dann gibt in sogenannten Doppelgleichnissen und Doppelsprüchen immer wieder geschlechtssymmetrische Paarbildungen. In der Aufforderung, sich nicht zu sorgen, werden unter anderem im Wort von der Feldlilie als Beispiele für die Nichtsorge sowohl die damals vor allem von Männern erledigte Feld-Arbeit als auch die vorwiegend weibliche Tätigkeit der Herstellung von Kleidung genannt. Seht euch die Lilien an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen. (Lk 12,27) In den ältesten Texten über das Zurücklassen der Familie werden die Ehefrauen nicht genannt: Amen, ich sage euch: Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen.  (Mk 10,29). Somit haben wohl auch Frauen ihre Familien zurückgelassen.

Im Rahmen der Gemeinschaft bildete Jesus noch eine Gruppe von 12 Männern von Simon Petrus bis Judas Iskariot. Diese sollten im Sinne eines prophetischen Zeichens die Sammlung und Wiederherstellung des ursprünglichen 12-Stämmevolkes Israel für die Endzeit symbolisch verkörpern. Zur Zeit Jesu gab es nur noch drei dieser Stämme. Die Zwölfzahl stellte für Jesus ein weiteres, sichtbares Zeichen für das schon angebrochene und sich seiner Meinung nach in kürzester Zeit durchsetzende Königreich Gottes dar.

Allein die Zusammensetzung der Jesus-Gemeinschaft war somit ein starkes und gut sichtbares Zeichen einer neuen Ordnung und Gesellschaftsmodellierung, die sicher auf die Menschen gewirkt hat.

[Literatur u.a.: Angelika Strotmann, Der historische Jesus S.137ff]