In der Zeit seines öffentlichen Wirkens ist Jesus von Nazaret vor allem im Bereich der Orte Kafarnaum, Betsaida und Chorazin unterwegs. Möglicherweise war Kafaranaum dabei so etwas wie ein Zentrum seines Wirkens, aber das ist in der Forschung umstritten. Er war offensichtlich der Ansicht, dass seine Botschaft besser für die geeignet war, die als jüdische Menschen an den nordwestlichen Ufern des Sees Genesaret lebten. Jesus war ein überzeugter Jude und warnte seine Nachfolger:innen, sich nicht auf den Weg der Heiden einzulassen. Er sendet Anhänger aus mit dem Gebot: Geht nicht den Weg zu den Heiden und betretet keine Stadt der Samariter, sondern geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel! (Mt 10,5). Im Blick auf den Erfolg seines Wirkens, das immerhin mit Heilungen und befreienden Dämonenaustreibungen verbunden war, halten die Evangelienschreiber am Ende aber nüchterne und gleichzeitig harte Worte Jesu für die genannten Orte fest: Weh dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida! Denn wenn in Tyrus und Sidon die Machttaten geschehen wären, die bei euch geschehen sind – längst schon wären sie in Sack und Asche umgekehrt. (…) Und du, Kafarnaum, wirst du etwa bis zum Himmel erhoben werden? Bis zur Unterwelt wirst du hinabsteigen. (Mt 11,21-24) Selbst aus jüdischer Sicht stehen heidnische Orte wie Tyrus und Sidon am Ende besser da als diese jüdischen Kerngebiete. Ehrlich halten die Evangelienschreiber seine dortige Erfolglosigkeit fest!
Zu seinem Wirken in Galiläa gehörten folgende Elemente:
Zum einen seine Verkündigung der Heilsbotschaft vom schon angebrochenen Königreich Gottes. Dessen endgültige Durchsetzung steht aus seiner Sicht in allernächster Zukunft bevor. Er hat dies sicher in den Synagogenversammlungen vor Ort kundgetan aber auch in Lehreinheiten in den Häusern gegenüber seinen Schüler:innen und anderswo. Diese Verkündigung treibt ihn um, muss nach außen getragen werden, in die benachbarten Dörfer und darüber hinaus.
Direkt damit verbunden sind Handlungen, die besonders für die bettelarmen und untergeordneten Menschen vor Ort hilfreich sind und in denen sie erfahren, dass auch für sie eine Heilszeit konkret angebrochen ist. Dazu gehören Heilungen und Exorzismen, aber auch alles, was half, das Volk Israel wieder zu sammeln: Die offene Tischgemeinschaft mit den ausgegrenzten und am Rande stehenden Menschen wie Prostituierten oder Zöllnern, aber auch die Bildung einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die mit Jesus zusammen versuchen, eine „Praxis umfassenden Heil-Seins“ (E. Schüssler-Fiorenza) zu leben.
Eine entscheidende Frage in diesem Zusammenhang ist sicher, was denn das Reden von und das Erfahren des anbrechenden Gottesreichs für die Menschen so besonders und so attraktiv gemacht haben: Welche Kraft konnte sich darin entfalten, dass so viele Menschen ihr Leben verändert haben, um in es hineinzukommen? Für Jesu Zuhörer:innen war das „Königreich Gottes eine „Metapher für eine umfassende Wirklichkeit, die im Gegensatz steht zu jeder menschlichen Herrschaft und zur erfahrenen empirischen Wirklichkeit, die von Unterdrückung und Ungerechtigkeit, Krankheit und Tod geprägt war“, wie die Expertin Angelika Strotmann es gut auf den Punkt gebracht hat. (AS 114)
Anders als wir Heutige wussten jüdische Menschen damals, was Jesus mit „Königreich Gottes“ – der „basileia tou theou“ gemeint hat. Es ging Jesus damit nicht in erster Linie um eine Kritik an den politischen und sozialen Verhältnissen seiner Zeit (Schröter in CC263). Eher passt der vom Bibelwissenschaftler Wolfgang Stegemann eingebrachte Begriff der „Heterotopie“: Jesus wollte soziale Strukturen verändern – sowohl für den einzelnen Menschen als auch gesellschaftlich. Und das ganz im Sinne seiner Vorstellung von dem, was Gott für die Menschen wollte und dennoch im Rahmen dessen, was er politisch erfahren hat und kulturgeschichtlich für denkbar hielt.
Natürlich geht es dann hier am Ende auch um soziale und damit auch um politische Gerechtigkeit und um die Befreiung von Fremdherrschaft im Sinne Gottes! (WS 324) Wolfgang Stegemann weist aber auch darauf hin, dass man sich dieses Reich nicht zu westlich modern denken sollte: Es geht hier weder um radikale Gleichmacherei noch um eine demokratische Verfasstheit, wie wir sie heute kennen. (WS 322.346)
[Literatur u.a.: Angelika Strotmann, Der historische Jesus S.114f | Wolfgang Stegemann, Jesus und sein Zeit 2010 S.322ff. | Jens Schröter in: Carsten Claußen / Jörg Frey, Jesus und die Archäologie Galiläas ²2009 S.263]