Frage 16:

Was meinte Jesus mit dem Gottesreich, das „jetzt“ auch mit ihm beginnt?

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Wer wissen möchte, um was es Jesus vor allem ging und was ihn antrieb und was er voranbringen wollte, muss sich mit der Vorstellung vom „Reich“ oder genauer „Königreich Gottes“ auseinandersetzen. Leider ist der Begriff vom Reich gerade im Blick auf die deutsche Geschichte mit dem behaupteten „Dritten Reich“ und dessen verheerender Geschichte nicht unvorbelastet. Für Jesus von Nazaret war diese Begrifflichkeit aber durch und durch positiv besetzt! Aus seinem jüdischen Glauben heraus hatte er eine Vorstellung kennengelernt, die er in seiner aramäischen Heimatsprache malkuta dejahwä oder in der griechischen Übertragung basileia tou theou ausprach: Königreich Gottes! Mit Kennenlernen ist dabei aber keineswegs nur eine Erkenntnis im Kopf gemeint, sondern die Vision oder große Hoffnung auf eine bessere Welt oder Ordnung, wie Gott-Jahweh sie nach Überzeugung wesentlicher Teile des Judaismus in der Geschichte mit seinem jüdischen Volk hinein gepflanzt hatte.

Aber was genau hatte Jesus dort kennen- und hoffen gelernt?

Zum einen hatte man im Lauf der Geschichte die Erfahrung gemacht, dass der wirkliche König gar nicht die alles entscheidende Größe für Israel ist, es kann auch ohne den König funktionieren – den man ja spätestens durch diverse Besatzungen des Landes nicht mehr hatte! Ab dem 5. Jahrhundert v.Chr. setzt sich die Vorstellung durch: Gott-Jahweh übernimmt die Rolle des fehlenden Königs: Sein Thron steht im Jerusalemer Tempel. Von hier aus herrscht er über Israel. Seine Verehrung im Tempelkult ist die angemessene Antwort darauf. Und vor allem: Es geht dabei um eine gute Herrschaft, die besonders die Bedürfnisse der Armen und Randständigen Israels im Blick hat. Das ist toll formuliert in Ps 145,7-10.13-15 und Psalm 146: Gott ist gütig, gerecht, gnädig und barmherzig, er richtet die Gebeugten auf und sättigt die Hungernden.

Man muss die Eigenart dieses Königseins auf sich wirken lassen. Es ist so ganz anders als das, was wir an Pomp, Macht und Unterdrückung oft mit dem Königtum verbinden. Ein schönes Beispiel für diese Andersartigkeit findet sich in einem Lied (Psalm) des Alten Testaments:

Selig (=glücklich!), wer den Gott Jakobs als Hilfe hat, wer seine Hoffnung auf den HERRN, seinen Gott, setzt. Er ist es, der Himmel und Erde erschafft, / das Meer und alles, was in ihm ist. Er hält die Treue auf ewig.[1] Recht schafft er den Unterdrückten, / Brot gibt er den Hungernden, der HERR befreit die Gefangenen. Der HERR öffnet die Augen der Blinden, / der HERR richtet auf die Gebeugten, der HERR liebt die Gerechten. Der HERR beschützt die Fremden, / er hilft auf den Waisen und Witwen, doch den Weg der Frevler krümmt er. Der HERR ist König auf ewig, dein Gott, Zion, durch alle Geschlechter. Halleluja! (Psalm 146,5-10)

Eine zweite Vorstellung ist ungefähr 3 Jahrhunderte v.Chr. entstanden, als das jüdische Volk aufgrund wechselnder Herrschaften und Besatzungsmächten in der Gefahr war, seine eigene Identität zu verlieren. Wo sollte hier noch ein Königtum Gott-Jahwehs zu erkennen sein? Handelten die Herrschaftsmächte nicht genau gegen das, was Gott-Jahweh eigentlich für sein Volk wollte. Wo war das Gute und Hoffnungsvolle geblieben? Bestimmte jüdisch-prophetische Kreise dachten daraufhin, Gott hätte sich sozusagen umentschieden und würde seine Herrschaft erst ganz am Ende der Geschichte – in der Endzeit – aufrichten. Dann würde aber nicht mehr nur das jüdische Volk, sondern würden alle Völker in eine ersehnte Heils- und Friedenszeit eintreten. In der Zeit der jüdischen Makkabäer-Aufstände gegen die Unterdrückungsmacht der Seleukiden (ca. 175-164 v.Chr.) verschärfte sich diese Endzeit-Hoffnung noch einmal. Die „Apokalyptiker“ dieser Zeit rechneten nicht mehr damit, dass Gott in der Geschichte überhaupt noch heilend und rettend wirkt. Ihre Hoffnung sah daher so aus: Gott läutet schon die Endzeit ein und befreit in allernächster Zeit (Naherwartung) die von bösen Mächten beherrschte Weltzeit, hält ein großes Gericht ab und startet dann eine neue Weltzeit, in der Gott-Jahweh uneingeschränkt und für immer herrscht und in der dann Glückseligkeit herrscht. Er startet sozusagen noch einmal ganz neu durch.

Jesus war von diesen ziemlich radikalen Denkmustern sicher noch geprägt – ähnlich wie sein Lehrmeister Johannes der Täufer. Tatsächlich erwartete der Nazarener das Ende der gegenwärtigen Geschichte und den Anbruch einer neuen Weltzeit, in der der gute König Gott-Jahweh herrschen und dann alle Mächte des Bösen besiegen würde (Lk 10,18). Allerdings erlebte und erkannte Jesus durch seine Vision vom Sturz des Satan aus dem Himmel einen gewaltigen Unterschied: Für ihn und auch durch ihn hatte die neue Weltzeit schon begonnen. Sie war schon in die gegenwärtige Weltzeit eingebrochen und damit angebrochen. Das in Zukunft ganz und gar sich durchsetzende Königreich Gottes ist schon dabei sich mit ihm und durch ihn und um ihn herum durchzusetzen! Und das war keine fromme Theorie, sondern in Krankenheilungen, Exorzismen, Zuwendung zu Marginalisierten, Festmählern mit Sünder:innen und in seiner Jünger:innengemeinschaft sehr konkret wahrnehmbar. Markus stellt daher zurecht das Wort vom anbrechenden Königreich Gottes wie einen Startschuss an den Beginn es Wirkens Jesu: und [Jesus] sprach: Die Zeit ist [hat sich] erfüllt, das Königreich Gottes ist nahe gekommen. (Mk 1,15) Im Lukasevangelium klingt das konkrete Heil an: Blinde sehen wieder, Lahme gehen und Aussätzige werden rein; Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet. (Lk 7,22)

Es ist nun gar nicht so einfach, malkuta dejahwäoder basileia tou theou ins Deutsche zu übersetzen. Ist damit eher eine Königsherrschaft gemeint oder eher ein Königreich? Der Begriff „Herrschaft“ erweckt den Eindruck, es geht einfach um ein Herrschen, um so etwas wie einen Status, den Gott hat und den er ausführt: Die übergeordnete Instanz, der König und Schöpfergott regiert. Eine eher fixe und steife Ordnung ist hier gemeint, könnte man denken: Gott sitzt auf Thron und regiert – ganz wie bis heute im Sinne klassischer Königsbilder. Das wäre dann aber eher eine Gottesvorstellung, die an Distanz und Macht denken lässt.

Daher könnte doch die Übersetzung „Königreich Gottes“ besser sein. Denn es geht im Denken Jesu eher um das Entstehen und Wachsen eines Raumes. Die basileia soll „kommen“ (Lk 11,2) bzw. ist „nahe herbeigekommen“ (Mk 1,15). Man kann ihn „hineingehen“ (Mk 9,47 u.a.) oder auch „hineindrängen“ (Mt 11,12). Aber auch: Personen, die eigentlich hineingehören werden „heraus geworfen“ (Mt 8,12).

Vielleicht kann man es so auch beschreiben: Es geht hier vor allem einen Be-Reich, einen Raum oder ein Terrain, in den der Mensch eingeladen ist einzutreten. Dieser Bereich ist dynamisch und dehnt sich aus. In diesem Bereich geschieht das Hilfreiche, Rettende und Heilvolle, das Gott-Jahweh den Menschen zukommen lassen will. Der Weg zu einem gelingenden Leben hat viele Facetten: Er reicht von Heilungserfahrungen, aktiver Teilhabe am sozialen Leben bis hin zu einer Ethik der Gottes- und Menschenliebe und einer lebendigen Spiritualität. Er ist der Weg für ein neues und gelingendes Miteinander von Mensch zu Mensch und von Gott und Mensch.

Aber wie hat man sich diesen Heilsraum genauer vorzustellen?

Jesus hat sein Konzept vom Königreich Gottes nirgendwo detailliert beschrieben oder gar definiert. Selbst in der „metaphorischen Sprache seiner Gleichnisse bleibt sein Zugang verborgen und seine Konturen vage.“ (Vermes bei WS 328) Das muss für die Zuhörer:innen Jesu anders gewesen sein. Für sie war diese Begrifflichkeit „eine Metapher für eine umfassende Wirklichkeit, die im Gegensatz steht zu jeder menschlichen Herrschaft und zur erfahrenen empirischen Wirklichkeit, die von Unterdrückung und Ungerechtigkeit, Krankheit und Tod geprägt war.“

Es geht somit vor allem um eine neue hoffnungsvolle Sozialordnung, die insbesondere diesen Menschen galt: Menschen in wirtschaftlicher und sozialer Not, Bettelarmen, Hungernden und Weinenden und auch den Kindern. Es ging konkret Menschen, die an körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen litten – um Kranke, Behinderte, „Besessene“. Aber auch um moralisch zweifelhafte Menschen wie Prostituierte, Zöllner oder „Sünder“.

Es ging um eine Rückholung von Menschen in den zentralen Heilsraum die an die Peripherie gelangt oder gedrängt worden waren. Jesus vertritt, vermittelt und lebt eine völlig neue Sozialstruktur als die, welche die Menschen seiner Zeit und Region erleben: Die neuen Bürger:innen dieses „Reichs“ – dessen neues Zentrum – sind die, welche normalerweise am Rand stehen: Menschen in materieller, psychischer, physischer und sozialer Not! (AS 117)

In diese neue Ordnung sollen die Menschen eintreten, hier finden sie heilende Hilfe, denn: Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder. (Mk 2,17)

Texte wie diese folgenden können dann helfen, die Inhalte etwas besser zu verstehen, um die es Jesus ging:

Um das Kommen des Königreiches soll man beten oder bittenDa sagte er zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, geheiligt werde dein Name. / Dein Reich komme. (Lk 10,2; Mt 6,10)

Ausgerechnet die Armen, Hungernden und Weinenden werden selig = glücklich gepriesenSelig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes. Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet gesättigt werden. / Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen. (Lk 6,20f; Mt 5,3-6)

Es kommt „automatisch“, verborgen, unaufhaltsam und wird erst im Ergebnis und in seinen „Früchten“ erkennbar: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie. Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da. (Mk 4,26-29)Wem ist das Reich Gottes ähnlich, womit soll ich es vergleichen? Es ist wie ein Senfkorn, das ein Mann nahm und in seinen Garten säte; es wuchs und wurde zu einem Baum und die Vögel des Himmels nisteten in seinen Zweigen.  (Lk 13,18f)