Frage 14:

Hatte Jesus in seiner Verkündigungszeit einen festen Wohnsitz?

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Nachdem Jesus von Nazaret die Gruppe um Johannes den Täufer verlassen hatte, beginnt die Zeit seines öffentlichen Wirkens. Die Bibelwissenschaftlerin Angelika Strotmann bemerkt dazu (AS 137): „Wenn Jesus gerade die Kranken und Besessenen, die Armen und Hungernden, die Ausgegrenzten und Verlorenen Israels mit seiner Heilsbotschaft von dem in seinem zuwendenden Handeln schon jetzt anbrechenden Königreich Gottes wollte, kann er nicht wie sein Lehrer Johannes an einem Ort bleiben und warten. Er muss seine sesshafte Existenz aufgeben und eine Wanderexistenz ohne festen Wohnsitz führen (…).“ Dies schloss Bedürfnislosigkeit und Besitzlosigkeit mit ein und bedeutete einen radikalen Bruch mit seiner Familie: Wie radikal das war, lässt ein Satz im Markusevangelium erkennen: Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen. (Mk 3,21) Jesus setzt an die alte Stelle seiner Familie eine neue Familie: Wer den Willen Gottes tut, dieser ist für mich Bruder, Schwester und Mutter. (Mk 3,35) Diese familia Dei – Gottesfamilie – wird die Herkunftsfamilie hundertfach ersetzen und dort wird es keine Hierarchien mehr geben!

Dabei sollte man sich aber bewusst sein, dass es sich dabei um eine sehr begrenzte Öffentlichkeit handelte, in der Jesus sich die meiste Zeit bewegte. Größere Städte im näheren und weiteren Umfeld mied der Nazarener offensichtlich. Jesus hat sich mit seinen Schüler:innen in einem relativ kleinen Gebiet bewegt. Sein Haupt-Wirkungsraum war das jüdische geprägt Orte-Dreieck Kafarnaum, Chorazin und Betsaida am Nordrand des See Genesaret (AS 65). Diese Orte liegen nicht weit voneinander entfernt und sind fußläufig gut zu erreichen.  Kafarnaum wird das Zentrum seines Wirkens gewesen sein und der Ausgangspunkt seiner Wanderungen. Der Ort war nach den Worten des Evangelisten Matthäus „seine eigene Stadt“ (Mt 9,1), in ihr vollbringt er seine ersten Wunder (Mk 1,21ff), hier war er zuhause (Mk 2,1; 9,33). Wenn er in Kafarnaum war, lebte er vermutlich im Haus der beiden Fischerbrüder Andreas und Simon Petrus, dessen Schwiegermutter er von einem lebensbedrohlichen Fieber heilte (Mk 1,29-31):

Sie verließen sogleich die Synagoge und gingen zusammen mit Jakobus und Johannes in das Haus des Simon und Andreas. Die Schwiegermutter des Simon lag mit Fieber im Bett. Sie sprachen sogleich mit Jesus über sie und er ging zu ihr, fasste sie an der Hand und richtete sie auf. Da wich das Fieber von ihr und sie diente ihnen.

In dieser sogenannten insula sacra wird ein Wohnhaus des Petrus und des Andreas vermutet. Die einzelnen Räume waren in dieser insula nicht größer als 3 x 7 m. Wenn es bei Mk 2,1f heißt „Als er nach einigen Tagen wieder nach Kafarnaum hineinging, wurde bekannt, dass er im Hause war. Und es versammelten sich so viele Menschen, dass nicht einmal mehr vor der Tür Platz war“, dann kann es sich um maximal 40 Personen gehandelt haben, da es in den Räumen ja noch Einrichtungsgegenstände und sonstiges Inventar gab (JuJ192). Mit Kafarnaum werden in den Evangelien weiterhin die Heilung eines Gelähmten (Mk 2,1-12), des Knechtes eines römischen Hauptmanns (Mt 8,5-13 par). Er belehrte hier den Petrus (Mt 17,24-27) und „die Zwölf“ (Mk 9,33-37), in diesem Umfeld berief er den Abgabenpächter Levi (Mk 2,13f) und lehrte wiederholt in der dortigen Synagoge (Mk 1,21; Lk 4,31; Joh 6,59).

Zusammenfassend lässt sich sagen: Jesus war in der Zeit seines Wirkens dauerhaft in stabile soziale Bezüge im Rahmen einer familia Dei – einer Gottesfamilie – eingebunden und hatte eben auch eine neue Verortung mit Familienanbindung im Fischerort Kafarnaum. Da die Wege in die beiden weiteren Orte seines Schwerpunktwirkens Betsaida (El-Araj) und Chorazin auch fußläufig oder mit dem Boot nur kurz waren (ca. 6 bis 8 km), wird er gar nicht so viel Zeit unterwegs verbracht haben (AS65). Auch diese Schwerpunktsetzung ist aber als Teil einer Lebensform zu sehen, die er bewusst wählt, um den Kranken und Besessenen, den Armen und Hungernden, den ausgegrenzten und verlorenen Menschen seines jüdischen Volkes nahe zu sein und ihnen „vor Ort“ die gute Nachricht vom anbrechenden Gottesreich in Wort und Tat zu vermitteln. Das hat für ihn oberste Priorität und bedeutet für die, die es ihm nachtun wollen, unter Umständen den Weg in eine unsichere Existenz: Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann (Lk 9,57). Es kann in der Nachfolge seines Weges um „Heimatlosigkeit, im schlimmsten Fall Obdachlosigkeit, die Aufgabe der bisher ausgeübten Tätigkeit und das mögliche Zurücklassen der Herkunftsfamilie“ gehen (AS139).

[Literatur u.a.: Angelika Strotmann, Der historische Jesus S.65f. und 137f | Jürgen Schefzyk / Wolfgang Zwickel, Judäa und Jerusalem 2010 S.192]

(JS Jesus 90 ff)